Donnerstag, 25. Oktober 2007

Was heißt Freiheit?

Der ganze Katalog der modernen Grundrechte wie "Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit", "Glaubens- und Gewissensfreiheit ", "Meinungs- und Pressefreiheit", "Versammlungs -freiheit", "Freiheit der Berufswahl", "freie Marktwirtschaft" usw., usf. ist eine Errungenschaft der bürgerlichen Revolution und war in der vorangegangenen Weltgeschichte dem Wort und der Sache nach unbekannt. Ihr plötzliches Auftauchen wirft die Frage nach dem tieferen Wesen dieser Grundrechte oder Grundfreiheiten auf. Wie konnte die Menschheit Jahrtausende lang ganz ruhig und zufrieden ohne sie leben? Ich sehe einen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der modernen Freiheit und dem Untergang der Heiligkeit des Gesetzes. Wenn Moses in die Gegenwart versetzt würde, so hätte er besseren Grund als je zuvor, die Gesetzestafeln wütend zerschmettern.

Aber eine Betrachtung des Verhaltens der Epochen unter dem Gesichtspunkt der Moral ist oberflächlich. Das Problem der Freiheit berührt philosophische Grundbegriffe wie Raum und Zeit, Zeit und Ewigkeit, Individuum und Universum. Es sind fundamental verschiedene Weltbilder im Spiel. Ich werfe dem modernen Weltbild hauptsächlich vor, dass es ein statisches Weltbild ist. Es fehlt ihm, so seltsam es klingt, die Dimension der Zeit. Das ist keine Kleinigkeit. Die Einseitigkeit des modernen Weltbildes ist vielmehr so ungeheuerlich, dass es einem die Sprache verschlägt! Was ich meine, wird in einem genialen Schlußwort eines Kapitels in Guareschis "Don Camillo und Peppone" deutlich. Guareschi schließt wieder einmal mit einem nachdenklichen Blick auf den ruhig dahinströmenden Po, und er bemerkt zuletzt: "Es war ein Tag wie jeder andere, nur anders". Was für ein wunderbares Wort! Das ist sogar noch besser als die berühmte Weisheit Heraklits: "In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind es, und wir sind es nicht."

Es geht hier um das Phänomen der Zeit, das meiner Ansicht nach im modernen Weltbild komplett fehlt. Die modernen Freiheiten mit allen ihren sog. rationalen Entscheidungsproblemen werden im Grunde schon dadurch zur Illusion, dass die Welt nicht statisch, sondern dynamisch ist. Die Vergangenheit verhält sich zur Gegenwart wie die Ursache zur Wirkung, wir sind die Kindern von Eltern, die Nachkommen von Vorfahren, unser Dasein fließt und strömt aus einer fernen Vergangenheit in eine ferne Zukunft. Wir bewegen uns im Gleichschritt mit dem Kreislauf der Gestirne, der Jahreszeiten, der Generationen. "Wer bin ich?" fragt Börries v. Münchhausen in seinem Gedicht "Die goldene Kette", und er stellt fest: "ein Gruß der Zeit an die Ewigkeit". Nietzsche erklärt die "ewige Wiederkehr des Gleichen" zum Kennzeichen des Paradieses. Das ist aber nur die Anerkennung des Phänomens der Zeit - sie läuft naturgemäß im Kreise - , und wenn das ins Paradies führt, dann ist das statische Weltbild die Hölle.

Genau so empfinde ich es auch! Die moderne Welt steht - trotz allen Geredes von Fortschritt - auf dem Fleck. Ich sehne mich nach einer Welt, die so ist, wie sie "schon immer" war, "nur anders". Ich mache jeden Tag denselben Spaziergang, aber er wird nie langweilig, er ist voller Abenteuer. Die Begriffe "immer gleich" und "immer neu" scheinen zusammenzuhängen und sich gegenseitig zu bedingen. Die Zeit scheint Ewigkeit und Ewigkeit die Zeit vorauszusetzen. Das moderne Weltbild erklärt alles als zeitbedingt, aber ohne Kontinuität, ohne Zeitlosigkeit, ohne Ewigkeit geht auch der Begriff der Zeit verloren. Ohne das Oben gibt es auch kein Unten, ohne den Mann auch keine Frau usw. Die Zeit zerfällt nur zu Staub. In meinem tiefsten Herzen sehne ich mich nach einem Leben, in dem ich gar nicht viel nachdenken muss, sondern einfach in das im Kreise laufende Universum eintauche und mitschwimme. So lebt ja die ganze Natur, und so lebte auch die Menschheit in der vorrevolutionären Epoche. Statt Freiheit gab es ein ewiges Gesetz, und dieses Gesetz ist letzten Endes nur die Einheit der Zeit, nur die natürliche Kontinuität des Daseins. Sie erlöst - in dem ganzen religiösen Sinn des Wortes - von allen Problemen.

Wo kommt der zur modernen Freiheit führende Ausstieg aus dem Fluss der Zeit her? Diese Frage lässt sich ganz klar beantworten: Er kommt aus dem Laboratorium! Die bürgerliche Revolution erklärt einfach das Universum zu einem Laboratorium und das Leben zu einem wissenschaftlichen Versuch. Mag das auf die Dauer gut gehen oder nicht, mir ist diese Einstellung jedenfalls zuwider. Sie beleidigt meine religiöse Ader.

3 Kommentare:

Nikodemus hat gesagt…

Ich möchte hier zur Frage der Zeit besonders Buch XI der Bekentnisse Augustins empfehlen, wo dieser christliche Philosoph der Frage "Quid est tempus" - Was ist Zeit? nachgeht. Man muss nicht unbedingt Christ sein sich mit den dortigen Gedankengängen gewinnbringend auseinander zu setzen. Im 20.Jahrhundert hat es übrigens auch bedeutende Auseinadersetzungen mit dem Zeitphänomen gegeben (Husserl, Heidegger, Barth, Pannenberg, Levinas). Allerdings hat man nach dem 2.Weltkrieg die Diskontinuität sehr stark herausgestellt. Ich halte das für eine zeitbedingte Schwäche, die sich wieder geben wird. Das aber die Moderne, je länger, je mehr, die Anbindung an die Kontinuität verliert und vor lauter Wassertropfen den Fluss nicht mehr erkennen will, das ist ohne Zweifel richtig.

Postillion hat gesagt…

Lieber Kjunk! Ihr Kommentar freut mich - besonders wegen des Wortes "Den Fluss vor lauter Wassertropfen nicht mehr erkennen". Da ich zufällig den Augustinus besitze habe ich gleich nachgeschlagen. Beziehen Sie sich auf XI,6: "Wenn man Ewigkeit und Zeit mit Recht so untertscheidet ..."? Aber Augstinus trennt meiner Ansicht nach wieder einmal wie Himmel und Erde so auch Ewigkeit und Zeit und verteilt sie auf zwei verschiedene Welten. Das ist doch etwas anderes als die Auffassung "aller Wassertropfen als ein Fluss". Oder mißverstehe ich Augustinus? Herzlichen Gruß, Postillion

Nikodemus hat gesagt…

Lieber Postillion, ich bezog mich im Grunde nicht besonders auf Confessiones XI,6, aber es gehört natürlich zu dem Bereich, den ich angepriesen habe. Nun ist es so, dass Buch XI einen ersten Teil hat (bis Kapitel 13 bzw. § 16, je nachdem, welcher Gliederung man folgt, also bis XI 13,16) und da geht es Augustin darum, den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf herauszustellen. Dabei bleibt er auch später: Zeit und Ewigkeit bleiben getrennt und unterschieden. Ihrer Aussage, dass Zeit Ewigkeit voraussetzt, würde Augustin aber bestimmt zustimmen. Ablehnen würde er aber einen zeitlichen Kreislauf, er sieht die Geschichte eher "spiralförmig" voranschreiten. Wenn ich Sie recht verstehe, so ist im Grunde für ihre Argumentation aber auch vor allem eines nötig: Zeitliche Kontinuität, die auch erkannt wird, Verbindung zwischen den einzelnen Zeitpunkten, ein bewusstes Erkennen des Verhältnisses von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Da ist Augustin ganz ihrer Meinung, Zeit bedeutet für Augustin Ausdehnung, Verbindung des Einzelnen, Zeit existiert real, wurde von Gott geschaffen (XI 13,16) und wird im menschlichen Geist wahrgenommen (XI 23,30 und 27,36).