Freitag, 2. November 2007

Kingship and the Gods

Lieber Vasall! Sie haben auf meinen Post über das "Verhältnis von Kirche und Staat" nicht nur mit einem Kommentar, sondern gleich mit einem eigenen brillianten
Post "Gottesgnadentum und christliche Monarchie" geantwortet. Er hat tatsächlich etwas strahlendes und funkelndes- vielleicht eine Folge der Begeisterung, mit der Sie ihn geschrieben haben. Also, Sie sind fest überzeugt, dass das Neue Testament in weltlicher Beziehung nach einer Monarchie verlangt. Ich schrieb Ihnen schon, ich wünschte, ich wäre ebenso sicher.


Sie sehen an meiner Überschrift, worauf ich hinaus will. "Kingship and the Gods" ist der Titel eines Buches von Henry Frankfort, einem englischen Ägyptologen und Assyriologen. Es geht mir dabei nur um den Buchtitel. Er erinnert daran, dass die Monarchie von Gottes Gnaden im Grunde kein christliches und kein europäisches, sondern ein zeitloses und weltweit verbreitetes Phänomen ist. Auch der Gegner der Monarchie, die Demokratie mit ihrer Volkssouveränität, widerspricht ja nicht bloß dem Christentum, sondern jeder Religion der Weltgeschichte. Unter diesen Umständen scheint eine vom Christentum unabhängige, über das Christentum hinausgehende Begründung der Monarchie nötig zu sein.


Sie haben meine weltanschauliche Richtung sehr geistreich als Pantheismus bezeichnet, und Sie zeigten sich erfreut, dass nicht nur das Christentum, sondern offenbar auch der Pantheismus zur Monarchie führen kann. Möglicherweise führt aber nur mein Pantheismus zur Monarchie, während das Christentum in Wahrheit zur Demokratie führt. Viele Menschen, sogar die meisten Menschen, sind ja tatsächlich davon überzeugt! Sie werden mir zugeben, dass die Stellung des Neuen Testaments zur Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat immerhin umstritten, immerhin mehr oder weniger zweifelhaft ist. Was, wenn Sie Unrecht haben sollten? Würden Sie auch einem Christentum treu bleiben, das sich als die entscheidende Ursache der Demokratie in aller Welt erweist? Ich jedenfalls nicht! Angesichts der Unsicherheit der Auslegung des Neuen Testaments argumentiere ich lieber gleich - nicht antichristlich, aber doch - achristlich.


Der außerchristliche König ist übrigens von China über Indien, Persien und Ägypten ein ausgesprochener"Sonnenkönig". Er ist keineswegs bloß ein Götze, ein Personenfetisch, wie Sie den heidnischen "Gottkönig" im Unterschied zum christlichen "König von Gottes Gnaden" definieren. Ich will hier gar nicht versuchen, das heidnische "Sonnenkönigtum" zu begründen, ich will nur sagen, dass der Monarchismus möglicherweise ganz auf eine solche Begründung angewiesen sein könnte. Der orientalische König gehört jedenfalls überall zum bipolaren Weltbild mit seinem Gegensatz von Himmel und Erde, Licht und Finsternis, Geist und Materie. In China ist der Herrscher ein "Sohn des Himmels", d.h. ein Sohn von Yang, was auch als "Sohn der Sonne" verstanden werden kann, und das ist nicht unbescheidener, nicht plumper als der Ausdruck "König von Gottes Gnaden". Ich sehe da keinen Unterschied. Als "Sonnenkönig" versteht er sich überall vor allem als ein Kämpfer gegen die Mächte der Finsternis. Ist das nicht unser Mann?

Mittwoch, 31. Oktober 2007

Der Ursprung der Demokratie

Mit der seit Generationen in allen Schulen gepredigten Behauptung, die Demokratie stamme aus Griechenland, aus Athen, wird die Wahrheit genau auf den Kopf gestellt. Nach mehreren Volkszählungen in der ausgehenden klassischen Epoche betrug in Griechenland der Anteil der Freien an der Gesamtbevölkerung ungefähr 5%, alle anderen waren Sklaven (s. Wikipedia ,"Sklaverei", im Fall von Athen und im übrigen Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, "Sklaverei", im Fall von Korinth und Messenien). Das entspricht ungefähr dem Anteil des Adels an der Gesamtbevölkerung im Mittelalter. Dieser lag zwar im 18. Jh. in Westeuropa bei 1,5%, im hohen Mittelalter war er jedoch mit Sicherheit wesentlich höher. In Polen und Ungarn betrug im 18. Jh. der Anteil des Adels an der Gesamtbevölkerung ebenfalls wie der Anteil der Freien an der Gesamtbevölkerung in der Antike ungefähr 5%.

Die Freien der Antike waren nach modernen staatsrechtlichen Begriffen eine Aristokratie. Montesquieu nennt die freien Athener einen "Verband von Kriegern und Athleten". Eine Demokratie im heutigen Sinn kam in der Antike praktisch überhaupt nicht und in der Theorie nur als Schreckgespenst vor. Für Aristoteles war die schlechteste Staatsform diejenige, "in der alle ohne Unterschied im Genusse staatsbürgerlicher Rechte sind". Natürlich, denn dieser Staat setzt ja eine allgemeine Sklavenbefreiung voraus, und die stellte im Bewusstsein der
Antike eine Art Götterdämmerung, eine Art Sieg des Drachen Python über den Lichtgott Apollon dar. Nur diese apokalyptische Auffassung erklärt die gnadenlose Grausamkeit, mit der die Antike gegen jede Form von Sklavenrebellion vorging. Man denke an das kilometerlange Spalier der gekreuzigten Spartakisten!

Die bürgerliche Revolution des 18./19. Jh. ist nach Begriffen der Antike ein allgemeiner Sklavenaufstand. Die moderne Demokratie vom antiken Staat der Athener herleiten, heißt die Rebellion gegen die Sklaverei von der Begründung der Sklaverei selbst herleiten - paradoxer geht es gar nicht! Moderne bürgerliche Revolutionäre wären in der Antike sofort getötet, typischerweise gekreuzigt, worden. Die ganze Verkehrtheit der Herleitung der modernen Demokratie aus der Antike zeigt sich aber vor allem darin, dass man heute auf eine Antastung der Volkssouveränität genau so reagiert, wie man in der Antike auf eine Antastung der Sklaverei reagierte, nämlich mit einem echt religiösen Schauder vor dem leibhaftigen Bösen. Erst im Hinblick auf die gesamte Weltgeschichte zeigt sich, dass die bürgerliche Revolution eine genaue Umkehrung aller Verhältnisse darstellt.

Sonntag, 28. Oktober 2007

Kirche und Staat

Monarchie und Demokratie unterscheiden sich letzten Endes durch das Verhältnis von Kirche und Staat. Die Monarchie setzt irgend so etwas wie die Einheit, die Demokratie dagegen die Trennung von Kirche und Staat voraus. Was ist das richtige Verhältnis von Kirche und Staat?

Es herrscht allgemein die recht dilettantische Vorstellung, die demokratische Trennung von Kirche und Staat sei der Kirche durch ein Machtwort des Gesetzgebers abgetrotzt worden. In Wahrheit kann allein die Kirche darüber entscheiden, ob sie mit dem Staat eine Einheit bilden, oder ob sie sich vom Staat trennen will. Das ist eine Frage der Evangelien, der Apostelbriefe. Wenn z.B. Petrus sagt: Unterwerft euch um des Herrn willen jeder menschlichen Ordnung, dem Kaiser, weil er über allen steht, den Statthaltern, weil sie von ihm entsandt sind ... (1. Petr. 2,13), so scheint dies auf ein Gottesgnadentum der Monarchie und damit auf eine Einheit von Kirche und Staat hinauszulaufen. Wenn nun irgend ein Gesetzgeber im Widerspruch zu Petrus die Trennung von Kirche und Staat einführen wollte, so würde er offenbar die Religion in einem sehr wichtigen Punkt ändern. Damit würde er sich aber selber die Stellung eines Religionsstifters anmaßen, und das würde kein Christ akzeptieren. Der Gesetzgeber muss es also der Kirche überlassen, welches Verhältnis von Kirche und Staat bestehen soll.

Aber im großen und ganzen steht die vom demokratischen Gesetzgeber vorgeschriebene Trennung von Kirche und Staat wohl doch im Einklang mit den Evangelien und Apostelbriefen. Ich sehe drei starke Argumente für eine vom Christentum gewollte Trennung von Kirche und Staat: 1) Das Christentum war ursprünglich eine Privatreligion, also eine Religion des persönlichen Glaubens, und keine Staats- und Zwangsreligion. Zu einer Staats- und Zwangsreligion wurde das Christentum erst im 4. Jh. 2) Gegen die Einheit von Kirche und Staat spricht das fundamentale Jesuswort: Mein Reich ist nicht von dieser Welt (Joh. 18,36). 3) Gegen die Einheit von Kirche und Staat spricht auch die fundamentale "Gnadenlehre", wonach der Christ gerechtfertigt wird nicht durch Werke des Gesetzes, sondern durch den Glauben allein (z.B. Röm. 3,28).

Daraus ergibt sich aber, dass das beinah 2.000-jährige Gottesgnadentum der Monarchie gar keine Grundlage im Christentum hat. Genau so sehe ich es jedenfalls, ich meine allerdings auch, dass der Weltuntergang nur durch ein der Volkssouveränität entgegentretendes Gottesgnadentum der Monarchie verhindert werden kann. Wie passt das zusammen? Das Gottesgnadentum der Monarchie hat zwar keine Grundlage im Christentum, wohl aber im Heidentum! Das Gottesgnadentum der Monarchie ist ja viel älter als das Christentum. Die römischen Kaiser waren ursprünglich sogar selber Götter, denen Tempel und Priestertümer geweiht waren. Die Kirche konnte das Heidentum auf dem sozusagen geistlichen Gebiet, aber nicht auf dem weltlichen Gebiet abschaffen. Ich bekenne mich zum Gottesgnadentum der Monarchie als der einzig möglichen Alternative zur verderblichen Volkssouveränität, aber ich suche die religiöse Grundlage der Monarchie nicht im Christentum, sondern im Heidentum.

Samstag, 27. Oktober 2007

Mein Argument gegen die Demokratie

Es ist gut möglich, dass ich der einzige echte Monarchist in Deutschland, ja, in Europa oder gar in der ganzen Welt bin, und dieser Gedanke erschreckt mich schon. Ist es nicht heller Wahnsinn, wenn einer glaubt, er sei klüger als alle anderen? Dieser Gedanke schlägt mich jedes mal zu Boden und raubt mir das Bewusstsein. Aber wenn ich dann allmählich wieder zu mir komme, taucht vor meinem geistigen Auge ein Bild der Landschaften und Städte der vorrevolutionären Epoche auf, und vielleicht erinnere ich mich an irgend ein altes Volkslied:

Der Nachtigall reizende Lieder / Ertönen und locken schon wieder / Die fröhlichsten Stunden ins Jahr. / Nun singet die steigende Lerche, /nun klappern die reisenden Störeche, / Nun schwatzet der gaukelnde Star ...

Dann vergleiche ich das Gestern mit dem Heute, und dann überkommt mich ein Trotz, wie ihn vielleicht Galileo empfand, als er sagte: Und sie bewegt sich doch! Nein, auf die Dauer könnt ihr mich nicht einschüchtern, ihr Millionen und Milliarden, ich bleibe dabei: Die bürgerliche Revolution führte zur Hölle auf Erden.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Was heißt Freiheit?

Der ganze Katalog der modernen Grundrechte wie "Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit", "Glaubens- und Gewissensfreiheit ", "Meinungs- und Pressefreiheit", "Versammlungs -freiheit", "Freiheit der Berufswahl", "freie Marktwirtschaft" usw., usf. ist eine Errungenschaft der bürgerlichen Revolution und war in der vorangegangenen Weltgeschichte dem Wort und der Sache nach unbekannt. Ihr plötzliches Auftauchen wirft die Frage nach dem tieferen Wesen dieser Grundrechte oder Grundfreiheiten auf. Wie konnte die Menschheit Jahrtausende lang ganz ruhig und zufrieden ohne sie leben? Ich sehe einen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der modernen Freiheit und dem Untergang der Heiligkeit des Gesetzes. Wenn Moses in die Gegenwart versetzt würde, so hätte er besseren Grund als je zuvor, die Gesetzestafeln wütend zerschmettern.

Aber eine Betrachtung des Verhaltens der Epochen unter dem Gesichtspunkt der Moral ist oberflächlich. Das Problem der Freiheit berührt philosophische Grundbegriffe wie Raum und Zeit, Zeit und Ewigkeit, Individuum und Universum. Es sind fundamental verschiedene Weltbilder im Spiel. Ich werfe dem modernen Weltbild hauptsächlich vor, dass es ein statisches Weltbild ist. Es fehlt ihm, so seltsam es klingt, die Dimension der Zeit. Das ist keine Kleinigkeit. Die Einseitigkeit des modernen Weltbildes ist vielmehr so ungeheuerlich, dass es einem die Sprache verschlägt! Was ich meine, wird in einem genialen Schlußwort eines Kapitels in Guareschis "Don Camillo und Peppone" deutlich. Guareschi schließt wieder einmal mit einem nachdenklichen Blick auf den ruhig dahinströmenden Po, und er bemerkt zuletzt: "Es war ein Tag wie jeder andere, nur anders". Was für ein wunderbares Wort! Das ist sogar noch besser als die berühmte Weisheit Heraklits: "In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind es, und wir sind es nicht."

Es geht hier um das Phänomen der Zeit, das meiner Ansicht nach im modernen Weltbild komplett fehlt. Die modernen Freiheiten mit allen ihren sog. rationalen Entscheidungsproblemen werden im Grunde schon dadurch zur Illusion, dass die Welt nicht statisch, sondern dynamisch ist. Die Vergangenheit verhält sich zur Gegenwart wie die Ursache zur Wirkung, wir sind die Kindern von Eltern, die Nachkommen von Vorfahren, unser Dasein fließt und strömt aus einer fernen Vergangenheit in eine ferne Zukunft. Wir bewegen uns im Gleichschritt mit dem Kreislauf der Gestirne, der Jahreszeiten, der Generationen. "Wer bin ich?" fragt Börries v. Münchhausen in seinem Gedicht "Die goldene Kette", und er stellt fest: "ein Gruß der Zeit an die Ewigkeit". Nietzsche erklärt die "ewige Wiederkehr des Gleichen" zum Kennzeichen des Paradieses. Das ist aber nur die Anerkennung des Phänomens der Zeit - sie läuft naturgemäß im Kreise - , und wenn das ins Paradies führt, dann ist das statische Weltbild die Hölle.

Genau so empfinde ich es auch! Die moderne Welt steht - trotz allen Geredes von Fortschritt - auf dem Fleck. Ich sehne mich nach einer Welt, die so ist, wie sie "schon immer" war, "nur anders". Ich mache jeden Tag denselben Spaziergang, aber er wird nie langweilig, er ist voller Abenteuer. Die Begriffe "immer gleich" und "immer neu" scheinen zusammenzuhängen und sich gegenseitig zu bedingen. Die Zeit scheint Ewigkeit und Ewigkeit die Zeit vorauszusetzen. Das moderne Weltbild erklärt alles als zeitbedingt, aber ohne Kontinuität, ohne Zeitlosigkeit, ohne Ewigkeit geht auch der Begriff der Zeit verloren. Ohne das Oben gibt es auch kein Unten, ohne den Mann auch keine Frau usw. Die Zeit zerfällt nur zu Staub. In meinem tiefsten Herzen sehne ich mich nach einem Leben, in dem ich gar nicht viel nachdenken muss, sondern einfach in das im Kreise laufende Universum eintauche und mitschwimme. So lebt ja die ganze Natur, und so lebte auch die Menschheit in der vorrevolutionären Epoche. Statt Freiheit gab es ein ewiges Gesetz, und dieses Gesetz ist letzten Endes nur die Einheit der Zeit, nur die natürliche Kontinuität des Daseins. Sie erlöst - in dem ganzen religiösen Sinn des Wortes - von allen Problemen.

Wo kommt der zur modernen Freiheit führende Ausstieg aus dem Fluss der Zeit her? Diese Frage lässt sich ganz klar beantworten: Er kommt aus dem Laboratorium! Die bürgerliche Revolution erklärt einfach das Universum zu einem Laboratorium und das Leben zu einem wissenschaftlichen Versuch. Mag das auf die Dauer gut gehen oder nicht, mir ist diese Einstellung jedenfalls zuwider. Sie beleidigt meine religiöse Ader.

Montag, 22. Oktober 2007

Die Oxford Monarchists

Die Oxford Monarchists - offenbar ein studentischer Club - haben ein besonders klangvolles Programm. Sie erklären als das Ziel ihrer Vereinigung: Die Unterstützung der Idee der Monarchie. Dies ist jedoch ein facettenreiches Prinzip, das auch eine Bewegung der Rückkehr zu den Wurzeln der europäischen Kultur umfasst, sowie die Hoffnung auf eine Wiederkehr der Zeit vor der schwarzen Revolution von 1789 und den folgenden Ereignissen, die Europa in einen Abgrund des Säkularismus und des Kommunismus stürzten ...

Sie melden stolz, dass neulich Otto v. Habsburg, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, die Schirmherrschaft über ihren Club übernommen hat. Er ist mit Abstand ihr hochrangigster Patron. Die Oxford Monarchists haben im Vergleich zu den deutschen monarchistischen Bewegungen etwas wohltuendes. Sie vermeiden die Phantasielosigkeit von "Tradition und Leben", sie vermeiden aber auch den religiösen Fanatismus der "Monarchieliga". Die einen sind ja mit der Demokratie vollkommen zufrieden, und die anderen wollen eigentlich die Herrschaft eines christlichen Ayatollas. Das hat alles mit Monarchie gar nichts zu tun!

Sehr geistreich bemerken die Oxford Monarchists, dass die Idee der Monarchie vor allem ein "facettenreiches Prinzip" sei. Eine dieser Facetten ist zweifellos der Zusammenhang von Monarchie und Aristokratie. Er ist schon für Platon unauflöslich. Zur Monarchie gehört eine ständische Struktur der Gesellschaft und eine führende Rolle des Adels. Indem die Oxford Monarchists ihren Wunsch nach einer "Wiederkehr der Zeit vor der schwarzen Revolution von 1789" ausdrücken, bekennen sie sich offensichtlich auch zu der ständischen Ordnung der vorrevolutionären Gesellschaft. Wer das nicht will, muss sich zur Demokratie bekennen, aber er sollte nicht alle politischen Systeme durcheinander bringen.

Für die Oxford Monarchists besteht eine der Facetten der Idee der Monarchie auch in der "Rückkehr zu den Wurzeln der europäischen Kultur". Das gefällt mir ganz besonders! Wenn ich mir überlege, was mit den "Wurzeln der europäischen Kultur" gemeint sein könnte, so fällt mir etwas ganz einfaches ein. Die Oxford Monarchists mögen sich dessen bewusst sein oder nicht, sie meinen ein noch nicht amerikanisiertes Europa - nicht mehr und nicht weniger! Da die "schwarze Revolution von 1789" aus den USA stammt, so ergibt sich aus der Ablehnung dieser Revolution die "Rückkehr zu den Wurzeln der europäischen Kultur" und die "Wiederkehr der Zeit vor der Revolution" ganz von selbst.

Natürlich haben sich auch die Oxford Monarchists gefragt, was realisierbar ist und was nicht, und als gebildete Oxfordianer sind sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Frage der Realisierbarkeit zweit- oder drittrangig ist. Zuerst muss immer die Idee selbst geklärt werden, erst danach darf man fragen, ob und wieweit die Idee realisierbar ist. Wenn man mit der Frage der Realisierbarkeit anfinge, so würde die Idee gleich im Keim erstickt. Wenn man dagegen mit der Idee anfängt und die Frage der Realisierbarkeit einstweilen aufschiebt, so erweist sich, dass alles allein eine Frage von Wahrheit und Schönheit ist. Was mir gefällt, das gefällt auch den anderen, und so erübrigt sich schließlich die ganze Frage der Realisierbarkeit.










Das Wesen der Revolution


Die bürgerliche Revolution des 18./19. Jahrhunderts ist ohne Beispiel in der vorangegangenen Weltgeschichte. Sie begann mit der Enthauptung eines Königspaares, aber sie griff weit über den Bereich der Politik und der Staatsverfassung hinaus. Es gibt keinen Bereich des Lebens, der nicht revolutioniert worden wäre.

Vor dem 18./19. Jahrhundert gab es zwar keine bürgerliche Revolution, aber wengistens die Möglichkeit tauchte doch einmal auf, nämlich in der Gestalt des apokalyptischen Antichrist. Dabei ist vor allem der Name dieser Gestalt von Bedeutung. Er drückt pure Negation aus. Auch die bürgerliche Revolution ist nur negativ und destruktiv, sie ist kein Ding, sondern ein Gegending. Sie führt z.B. zu keiner Regierung, sondern zur permanenten Abschaffung jeder Regierung. Das zeigt sich sehr schön in dem typisch demokratischen Begriff "antiautoritär".

Aber ich erkenne den Antichrist noch an einem anderen Phänomen wieder. Die französische Revolution führte ja nicht nur zu einem Massaker am Klerus, sie führte, was meistens verschwiegen wird, auch zu einer Entweihung aller Kirchen im Land und zu einem Staatskult der sog. "Göttin der Vernunft". Diese "Göttin der Vernunft" hat interessanterweise in der amerikanischen Freiheitsstatue - bekanntlich ein Geschenk Frankreichs - im Hafen von New York überlebt. Ich sehe in ihr diese weibliche Gestalt, die nach der Johannes-Apokalypse zum Antichrist gehört: Der Geist ergriff mich, und der Engel führte mich in die Wüste. Dort sah ich eine Frau ... Auf ihrer Stirn stand ein Name, ein geheimnisvoller Name: Babylon, die Große, die Mutter der Huren und aller Abscheulichkeiten der Erde ...((Off. 17,3ff).

Friedrich Nietzsche bemerkte Mitte des 19. Jahrhunderts eine "Umwertung aller Werte". Das soll heißen, dass alles, was früher als gut bewertet worden war, nunmehr als genau verkehrt und böse galt. Das trifft offensichtlich auf alle Begriffe von Tugend zu - das Wort selbst erregt nur noch Gelächter -, für alle Traditionen, für die Nation und ihre Geschichte. Besonders deutlich wird die negative Funktion der Revolution auf dem Gebiet der Kunst im weitesten Sinn. Man will es nicht wahrhaben, aber die tägliche Erfahrung zeigt es immer wieder, dass die Kunst im weitesten Sinn praktisch aus der vorrevolutionären Epoche stammt. Das industrielle Zeitalter produziert absurde Lyrik, abstrakte Malerei, atonale Musik usw. , und das ist nicht Kunst, das ist Antikunst, wie man ganz offen eingesteht. Die bürgerliche Revolution richtete sich auch gegen die Kunst.

Sonntag, 21. Oktober 2007

Das Gottesgnadentum der Monarchie

Das Gottesgnadentum der Monarchie gilt heute als ein - glücklicherweise längst überwundenes - Märchen für die Dummen. Dabei ist die viele Jahrtausende alte und rund um den Globus verbreitete Monarchie von Gottes Gnaden die einzig mögliche Form von Regierung überhaupt. Alles andere ist keine Regierung, sondern Revolution. Das Naserümpfen über das Gottesgnadentum der Monarchie ist ein Zeichen von staatstheoretischem Dilettantismus.

Die elementarste Wahrheit der Staatstheorie ist, dass die menschliche Natur - ähnlich wie das ganze Universum - aus zwei entgegengesetzten Komponenten besteht. Man spricht von Seele und Leib, Geist und Körper, Vernunft und Sinne u.ä. Wer diese Wahrheit akzeptiert, kommt bei logischem Denken zur Monarchie von Gottes Gnaden. Denn der springende Punkt bei der Zusammensetzung der menschlichen Natur aus Seele und Leib ist, dass die Seele etwas kollektives und nur der Körper etwas individuelles ist. Als etwas immaterielles ist die Seele nicht zerstückelbar und begrenzbar. Der Seele Grenzen kannst du nicht auffinden, auch wenn du gehst und jede Straße abwanderst ... sagt Heraklit (Fr. 45). Daraus folgt aber, dass es im Grunde nicht viele Einzelseelen, sondern nur eine allen gemeinsame Seele geben kann. Umgekehrt beruht auch alle politische Gemeinschaft auf der gemeinsamen Seele oder, etwas anders gesagt, auf der gemeinsamen Wurzel aller Einzelseelen. Da die Seele normalerweise mit Hilfe der individuellen Sinne nach außen aufs Objekt und nicht nach innen auf sich selbst schaut, so kann sie ihr überindividuelles - sagen wir ruhig, nationales - Wesen nur ausnahmsweise erkennen.

Das führt zu der Frage, wie denn unter diesen Umständen die Seele den Leib beherrschen kann. Die Antwort ist, dass eine solche Herrschaft bei der überindividuellen Natur der Seele nur auf überindividueller Ebene, d.h. nur auf der Ebene der Gesellschaft als eine Herrschaft der Regierung über das Volk möglich ist. Die elementarste Aufgabe der Regierung ist es also, der Seele zur Herrschaft über den Leib zu verhelfen. Wenn die Herrschaft der Seele über den Leib nicht auf dem Wege der Staatsverfassung und der Politik stattfindet, so findet sie überhaupt nicht statt.

Es ist sehr schwer zu sagen, was Seele und Leib, Geist und Körper, Vernunft und Sinne usw. eigentlich sind. Das gilt auch für die entsprechenden Komponenten des Universums wie Gott und Welt, Himmel und Erde, Jenseits und Diesseits usw. Das einzige, was man mit einiger Sicherheit sagen kann, ist, dass Seele, Geist, Vernunft, Gott, Jenseits usw. irgendwie identisch sind, so wie auch Körper, Sinne, Welt, Diesseits usw. eng zusammenhängen und in ein und dieselbe Schublade gehören.

Wenn man das Verhältnis von Regierung und Volk letzten Endes auf das Verhältnis von Seele und Leib zurückführt, so ist man unter diesen Umständen schon bei einer Regierung von Gottes Gnaden angekommen - die Seele und Gott sind ja mehr oder weniger identisch -, man befindet sich aber doch erst auf halbem Wege zur Monarchie. Es muss nämlich noch ein wichtiger Punkt berücksichtigt werden. Seele und Leib sind diametral entgegengesetzte Dinge, und das hat zur Folge, dass sich der einzelne Mensch nicht mit seiner Seele und mit seinem Leib zugleich, sondern nur entweder mit seiner Seele oder mit seinem Leib identifizieren kann. Das hat nicht das geringste mit gut und böse zu tun, es ist eine Frage der sozialen Arbeitsteilung. Als Ergebnis dieser Arbeitsteilung entstehen so etwas wie der Typ von Don Quixotte und der Typ von Sancho Pansa. Das sind der Adel und das Bürgertum.

Damit das Verhältnis von Regierung und Volk dem Verhältnis von Seele und Leib entsprechen kann, muss der Teil der Gesellschaft, der sich wie Don Quixotte ausschließlich mit dem Geist identifiziert über den Teil der Gesellschaft herrschen, der sich wie Sancho Pansa ausschließlich mit dem Körper identifiziert. Es muss also der Adel mit dem König an seiner Spitze über das Bürgertum herrschen. - Ich gebe gern zu, dass sich auch der Bürgerliche mit dem Himmlischen und auch der Adelige mit dem Irdischen identifizieren kann. Aber das ist dann so, als ob die Frau Hosen und der Mann einen Rock trägt. Das ist durchaus möglich, aber es widerspricht einer sinnvollen sozialen Arbeitsteilung.




























Donnerstag, 18. Oktober 2007

Ideologien

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
ist der Konflikt von Sozialismus und Liberalismus auf internationaler Ebene eingeschlafen, aber auf nationaler Ebene besteht er nach wie vor weiter. Jede moderne Gesellschaft scheint mitten entzwei gerissen zu sein von zwei gleich starken Parteien, die sich selbst als links und rechts, progressiv und konservativ, sozialistisch und kapitalistisch u.ä. einordnen.

Platon - mein Leitstern in dem Chaos der Meinungen - sagt irgendwo sehr schön: Die Alten, besser als wir und den Göttern näher stehend, haben uns diese Sage hinterlassen: Aus Einem und Vielem sei alles, von dem immer wir sagen, dass es ist. Diese widersprüchliche Natur aller Dinge wird nirgends so deutlich wie im Fall der menschlichen Gesellschaft. Die Gesellschaft ist offensichtlich Eines und Vieles zugleich, und das Problem der richtigen Staatsverfassung scheint vor allem das Gleichgewicht dieser gegensätzlichen Aspekte der Gesellschaft zu sein. Mit dem Sozialismus im weitesten Sinn wird das Kollektive und mit dem Liberalismus das Individuelle einseitig bevorzugt. Im einen Fall vergewaltigt die Gesellschaft das Individuum z.B. mit Phrasen wie Gemeinnutz geht vor Eigennnutz oder gar Wir müssen sterben, damit Deutschland leben kann, im anderen Fall zerstört umgekehrt das Individuum die Gesellschaft, indem es alle Politik auf den erklärten Willen des Einzelnen zurückzuführen versucht.

Die moderne Gesellschaft befindet sich damit in der typischen Lage zwischen Skylla und Charybdis, und diese Lage wirft immer die Frage nach dem goldenen Mittelweg auf. Der goldene Mittelweg ist die Monarchie. Erst durch Abschaffung der Monarchie wurde ja die Gesellschaft ein Opfer der Extreme. Gewöhnlich führt die bürgerliche Revolution erst ins eine und dann sehr schnell ins andere Extrem: In Deutschland kam zuerst die Weimarer Republik und dann das Dritte Reich, in Russland zuerst der bürgerliche Kerenski und dann der sozialistische Lenin. Ohne die Monarchie sind das Eine und das Viele offensichtlich nicht unter einen Hut zu bekommen. Ohne die Monarchie herrscht immer das eine auf Kosten des anderen: Entweder die Gesellschaft geht in den Individuen, oder die Individuen gehen im Kollektiven auf.

Kaum ein Staat der Welt hat die Unvereinbarkeit des Kollektiven und des Individuellen in der Demokratie so schmerzlich zu spüren bekommen wie Deutschland. Als schließlich die Wiedervereinigung den erschrockenen demokratischen Politikern in den Schoß geworfen wurde, dachte der einfache Bürger, dass es jetzt zu einer wunderbaren Synthese der Gegensätze kommen würde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht, weil den Politikern nur ein "entweder Sozialismus oder Kapitalismus" einfiel. Die demokratischen Politiker können die Welt nur spalten, nicht vereinigen! Die schwächere sozialistische DDR wurde von der stärkeren BRD brutal gleichgeschaltet, und nach dem Jubel und Trubel von 1989 ist schnell die übliche Politikverdrossenheit zurückgekehrt. Was hat die Wiedervereinigung gebracht? Ich sehe nur ein pompöses Abgeordnetenhaus in Berlin, sonst nichts!

Eine Synthese des Einen und des Vielen, des Kollektiven und des Individuellen, wäre aber auch nur mit Hilfe der Monarchie möglich gewesen. Das grundlegendste staatstheoretische Problem überhaupt ist die Frage, ob es eine natürliche soziale Einheit gibt, oder ob die soziale Einheit immer erst künstlich und gewaltsam hergestellt werden muss. Tatsächlich ist es die Eigenart der Monarchie, dass sie das von Natur aus und von jeher sowieso schon allen Gemeinsame zur Herrschaft bringt und auf diese Weise eine echte soziale Einheit und Gemeinschaft zustande bringt. Dagegen ist es die Eigenart der Demokratie, dass sie immer glaubt, der Mensch sei von Natur aus ein isolierter Einzelkämpfer, und dass die soziale Einheit und Gemeinschaft immer erst künstlich und gewaltsam - sprich durch Propaganda - hergestellt werden müsste. Unter diesen Umständen ist die Demokratie stets gespalten in eine Partei der gewaltsamen sozialen Einheit und eine entgegengesetzte staatsfeindliche Partei der Unabhängigkeit des Individuums. Die Demokratie ist stets zerrissen von der Propaganda der kollektivistischen und der individualistischen Partei.

Kommunismus und Kapitalismus, Faschismus und Antifaschismus, das sind alles nur einseitige, schizophrene, giftige Ideologien.

Dienstag, 16. Oktober 2007

Was heißt Demokratie?

Von einer "Volksherrschaft" kann also keine Rede sein. Aber auch "Parteienherrschaft" sagt wenig, denn diese ist im Fall der bürgerlich-liberalen Demokratie jedenfalls keine Zwangsherrschaft. Was für eine Art von Herrschaft ist die Demokratie dann?

Meiner Meinung nach ist das Wesen der Demokratie noch nie auch nur halbwegs einleuchtend definiert worden. Deshalb will ich mich auch gar nicht lange mit wissenschaftlichen Kontroversen aufhalten - sie bringen nichts -, sondern gleich mit einer eigenen Theorie herausrücken: Die Demokratie ist ein Staat ohne Vergangenheit, ohne Vorfahren, ohne Geschichte, ohne Traditionen, ohne eine gemeinsame Kultur. Die Demokratie ist ein plötzlich vom Himmel gefallener Staat. Nur eine außergalaktische, heute auf der Erde gelandete Gesellschaft kann sich eine Verfassung mit einer Präambel wie das deutsche Grundgesetz geben: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben. Ich frage: Was habt ihr denn vorher gemacht? Gab es denn vorher noch niemals irgend eine vernünftige Rechtsordnung? Die Demokratie geht eben sehr hypothetisch, aber doch grausam konsequent von einem totalen Neuanfang der Gesellschaft, von einer historischen tabula rasa aus!

"In China werden die Menschenrechte unterdrückt!" So etwas hört man in Bezug auf den einen oder anderen Staat jeden Tag, und jedes mal steigt tatsächlich ein Gefühl der Empörung hoch. Die Tatsachen mögen auch wirklich empörend sein, andererseits sollte man sich aber doch einmal klar machen, dass es Menschenrechte wie "freie Entfaltung der Persönlichkeit", "Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit", "Versammlungsfreiheit", "Vereinigungsfreiheit", "Pressefreiheit", "Freizügigkeit", "freie Marktwirtschaft" usw., usf. bis ins 19./20 Jh. niemals und nirgends auf der Welt gegeben hat. Der Grund für das Fehlen der sog. Menschenrechte in der Vergangenheit ist auch völlig klar: Die Gesellschaft der Gegenwart betrachtete sich als eine Fortsetzung der Gesellschaft der Vergangenheit. So wie ein Individuum nicht willkürlich bestimmen kann, wer oder was es eigentlich ist - es hat eine ererbte Identität -, so konnte auch eine Gesellschaft in der Gegenwart nur sein, was sie schon in der Vergangenheit gewesen war. Für eine solche Gesellschaft blieb ebenso wenig wie für Sonne, Mond und Sterne und die Elemente und Pflanzen und Tiere Raum für irgend welche Menschenrechte, Grundrechte, Grundfreiheiten.

Ich füge dieser rein theoretischen Betrachtung eine historische Beobachtung hinzu, und ich meine, das sich diese zu allem vorigen verhält wie der Punkt aufs I. Die französische Revolution von 1789 hängt doch offensichtlich mit der Einführung der Demokratie in den USA im Jahre 1776 zusammen. Das ganze System scheint aus Amerika zu stammen, und schau her, in Amerika fiel tatsächlich eine Gesellschaft gewissermaßen plötzlich vom Himmel! Sie hatte keine historische Vergangenheit, sie konnte nicht und musste nicht einfach so weiter machen wie bisher. Sie musste alles neu erfinden, und sie scheint alles täglich immer wieder aufs neue erfinden zu müssen. Europa kam zur Demokratie, indem es einfach ohne Sinn und Verstand Amerika nachahmte.

Montag, 15. Oktober 2007

Hirt, Hunde und Herde

Wir sind permanent umgeben von lächelnden Reklamevisagen, aber wenn man die reale Situation der Gesellschaft berücksichtigt - sie ist sowohl von der zerstörten Umwelt als auch von der zerstörten Familie, also sowohl von außen als auch von innen her zum Tode verurteilt -, so wirkt dieses ewige Lächeln doch wie das eingefrorene Grinsen des Verrückten. Diese Gesellschaft nimmt die Welt nur ganz von weitem, nur durch die rosarote Brille der Massenmedien und nur wie in einem Drogenrausch wahr. Die Droge ist in diesem Fall das Wort "Demokratie". Wir leben ja in einer Demokratie, und die Demokratie ist das allein seligmachende politische System. Folglich ist die Welt vollkommen in Ordnung, mag sie auch scheinbar zum Teufel gehen.

Dabei ist die Demokratie gerade die Ursache der Misere. Die Gesellschaft geht, kurz gesagt, an der Industrie zugrunde, und die industrielle Revolution ist die Folge der bürgerlichen Revolution. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, ist zwar keineswegs geklärt, aber das Wesen der bürgerlichen Revolution und der Demokratie ist überhaupt ein ungelöstes Rätsel.
Warum musste denn die Idee der "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu diesem offenkundigen, unbestreitbaren Weltuntergang führen? Die Kehrseite dieser Frage ist: Wie konnte das Ancien Regime die Gesellschaft in Harmonie mit Sonne, Mond und Sternen und den Elementen und Pflanzen und Tieren halten, wie konnte es die Gesellschaft in sich selbst zusammenhalten und auf diese Weise vor dem Untergang bewahren?

Es ist zwar nur eine Hypothese, aber es gibt gar keine andere Möglichkeit: Die Struktur der Gesellschaft entspricht der Struktur der Seele des Einzelnen, wie schon Platon predigte. Ändere die Struktur der Gesellschaft, und du änderst gleichzeitig die Struktur der Seele des Einzelnen. Platon erklärt sowohl den Idealstaat als auch die ideale seelische Verfassung des Einzelnen mit dem Bild des Schafhirten, seiner Schäferhunde und der Schafherde. Auf der Ebene des Staates sind das der König, der Adel und das Volk; auf der Ebene der individuellen Psyche sind das so etwas wie der Geist, der Wille und der Körper. Die Herrschaft des Geistes über den Körper steht und fällt mit der Herrschaft des Königs über das Volk und umgekehrt. Die Ursache des gegenwärtigen Weltuntergangs ist, dass zugleich mit der Monarchie auch die Herrschaft des Geistes über den Körper zusammengebrochen ist, und dass auf diese Weise die Hölle hochgekommen ist.

Im 17. Jh. galten z.B. noch Rationalismus und Empirismus als diametrale Gegensätze. Erst als Folge der bürgerlichen Revolution gilt plötzlich der Empirismus selbst als der Rationalismus; und was ein vom Empirismus verschiedener Rationalismus sein könnte, kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen. Was ist das Ganze im Unterschied zu den Teilen, der Begriff im Unterschied zur Wahrnehmung, das Wort im Unterschied zur Sache, was ist die deduktive im Unterschied zur induktiven Methode der Erkenntnis? Ratlosigkeit! Analog zur Revolution des Volkes gegen die Monarchie hat es eine Revolution des Körpers gegen den Geist gegeben.

Aufklärung heißt: "Alles, was ich nicht sehen und anfassen kann, ist Humbug!" Sie ist nur ein geistfeindlicher Empirismus. Der Aufgeklärte tastet die Welt wie die Ameise mit ihren kleinen Fühlern ab. Aufklärung ist eine Verherrlichung des Objekts und eine Sklaverei des Subjekts. Aber was ist denn das Subjekt ? Ursprünglich ist das so etwas wie die Vernunft von Gottes Gnaden. Von der Herrschaft der Vernunft im ursprünglichen Sinn des Wortes hängt es ab, ob die Welt ein Paradies oder eine Hölle ist.

Der Idealstaat

Der Sinn des Idealstaates wird meistens mißverstanden. Er ist kein Schlaraffenland, er ist ein theoretisches Modell, an dem die historischen Staaten gemessen werden sollen. Ohne ein Modell des Idealstaates kann ich z.B. das politische System der Bundesrepublik Deutschland unmöglich bewerten. Die herrschenden Parteien tun zwar so, als wäre die Bundesrepublik Deutschland der Idealstaat in Reinkultur, aber diese Vorstellung ist schon deshalb verkehrt, weil der Idealstaat immer eine Theorie sein muss, an der erst die Praxis gemessen werden kann.

Das theoretische Modell, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland messen lassen muss, sieht nach allen Lobeshymnen auf die Demokratie etwa folgendermaßen aus: Das Volk schickt alle vier Jahre aus seiner Mitte heraus ein paar Hundert Volksvertreter ins Parlament - die Gestalt des Volksvertreters ist tatsächlich der Angelpunkt des ganzen Systems -, die nun, niemandem als ihrem eigenen Gewissen verpflichtet, eine Regierung einsetzen und kontrollieren. Da sitzen sie nun auf ihren Abgeordnetenstühlen unsere lieben Volksvertreter - Bauern, Bäckermeister, Metzger, breit und behäbig, ein bißchen wortkarg, ein bißchen unbeholfen, aber doch ehrlich und grundsolide -, und beschließen, was gut und nützlich ist für den Staat.

Wenn man nun diesen Maßstab an die Wirklichkeit anlegt und fragt, wieweit die Praxis der Theorie entspricht, so ist das Ergebnis niederschmettern. Das entscheidende Problem ist ja, dass wirklich die Volksvertreter die Regierung einsetzen und kontrollieren, und dass nicht etwa die Regierung die Volksvertreter einsetzt und kontrolliert. In Wahrheit ist aber die ganze Gestalt des Volksvertreters eine Illusion. Das Volk ist gar nicht imstande dazu, Abgeordnete aus seiner Mitte heraus ins Parlamanet zu entsenden, weil es gar keine Kommunikation unter den Wählern gibt. Niemand sagt etwa: "Ich schlage vor, Herrn XY als Abgeordneten zu wählen. Ich kenne ihn schon seit Jahren und weiß, dass er sehr zuverlässig ist." Es gibt auch kein Forum, auf dem sich die Kandidaten der Wählerschaft vorstellen könnten. Aus welchem Zauberhut kriechen also die Kanidaten hervor? Es sind die bereits herrschenden Parteien, die das ausschließliche Recht der Kandidatennominierung haben, und die im großen und ganzen mit jeder Wahl nur immer wieder in ihrer Herrschaft bestätigt werden können. Es tritt also tatsächlich der perverse Fall ein, dass nicht die Volksvertreter die Regierung wählen, sondern dass die Regierung die Volksvertreter wählt.

Das Volk ist zur Beute der Parteien geworden! Es ist dermaßen verstrickt in ein Gewebe aus Phrasen, Tricks und Lügen, dass es sich - wie ein Insekt in einem Spinngewebe - gar nicht mehr rühren kann. Die Note für dieses politische System kann nur lauten: nicht ausreichend.

Das Postkutschenzeitalter

In den "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" von Wilhelm v. Kügelgen (1802 - 1867) gibt es eine amüsante Beschreibung einer Postkutschenfahrt: Zwischen Leipzig und Dresden gingen damals zwei Personenposten, die sog. gelbe und die grüne Kutsche. Die erste dieser beiden Gelegenheiten stieß dermaßen, dass Leib und Seele Gefahr liefen, voneinander getrennt zu werden, daher besonnene Leute die andere, etwas gelindere zu wählen pflegten. Doch war auch diese immer noch von der Art, dass man bisweilen vor Schmerz laut aufschrie, und wenn der Schwager nicht an jeder Schenke angehalten hätte, so würde man es kaum ertragen haben ...

Meine Reisegesellschaft bestand aus einem wohlhabenden, dicken Partikulier (wohl Einzelhändler) ... und einem heldenmütigen Leipziger Studenten. Letzterer hatte das Aussehen wie der grimme Hagen ... Auf der Brust hing ihm ein ledernes Beutelchen mit Schießpuler, aus welchem er sein Terzerol lud, um ab und zu aus dem Wagenfenster zu feuern. Der Dicke drückte dann die Augen zu und bat inständigst, wenigstens das Pulversäckchen abzuhängen, das Feuer fangen könnte. Es sei allerdings gefährlich, versicherte der Studio, aber darin läge ja gerade der Reiz. Darauf schwur er bei allen sieben Weisen Griechenlands, dass, wenn ein einziges Fünkchen aus seiner Pfeife da hinein flöge, so würden wir augenblicklich alle samt grüner Kutsche, Postillion und Pferden wie Elia im feurigen Wagen gen Himmel fahren.


Die Fahrt mit der Kutsche war also eine Strapaze. Aber wie gern würde ich diese Strapaze auf mich nehmen, wenn ich damit auch die saubere Luft, das saubere Wasser und die märchenhaft schönen Landschaften des vormärzlichen Deutschland wiederbekäme. Man muss nur genau hinschauen auf die Welt, man muss nur aufwachen aus dem allgemeinen Delirium, um zu erkennen, dass die Gesellschaft nicht fortschreitet, sondern im Chaos versinkt. Ich weiß, ehrlich gesagt, auch nicht, was man tun sollte, aber jedenfalls, sollte man die unsinnige Behauptung aufgeben, es habe in den letzten 200 Jahren ein allgemeiner Fortschritt stattgefunden. Ein endloser Fortschritt kommt auch in der Natur gar nicht vor. Daraus ergibt sich schon das wahre das Wesen des endlosen Fortschritts: Das kann nur die endlose Entartung der menschlichen Natur sein.


Parteienherrschaft

Die Meinung ist weit verbreitet, dass das bestehende politische System keine Volksherrschaft, sondern eine Parteienherrschaft darstellt. Um die Volksherrschaft doch noch zu retten, wird die "unmittelbare Demokratie" vorgeschlagen. Doch die Diskussion um die "mittelbare" oder "unmittelbare Demokratie geht von der Voraussetzung aus, es gäbe im System der Demokratie überhaupt eine echte Regierung. Das ist nicht der Fall, und das ist auch nicht der Sinn des Systems. Wenn man eine echte Regierung bejahen würde, so wäre man bei der Monarchie geblieben. Aber man machte eine Revolution und führte die Wählbarkeit der Regierung ein, weil man das Verhältnis von Regierung und Volk prinzipiell umkehren wollte. Das Volk tut also nicht, was die Regierung sagt, sondern die Regierung tut, was das Volk sagt. Das ist auch gelungen, und das funktioniert in der "mittelbaren Demokratie" genau so gut wie in der "unmittelbaren Demokratie".

Solange es freie Wahlen gibt, ist die Regierung immer ein verantwortungsloser Speichellecker der Wähler. Da darf sich das Volk ganz beruhigt zurücklehnen. Das gilt übrigens auch für Diktatoren. Auch sie sind gewählt und prinzipiell abwählbar (s. Ceaucescu), sie sind so etwas wie auf Lebenszeit gewählte Volkstribunen. Alle Diktaturen setzen die Souveränität des Volkes voraus, kein einziger Diktator hat sich jemals für souverän erklärt, im selben Moment wäre er nämlich ein Monarch. Die Diktatoren erfüllen die Welt mit ihrem ohrenbetäubenden Propagandarummel, weil sie die Zustimmung des Volkes brauchen. Man kann darüber streiten, ob die Diktatur eine Art von Demokratie ist, sicher ist jedenfalls, dass die Diktatur ebenso wie die Demokratie ein Kind der Revolution und der Volkssouveränität ist.

Bei einer Umkehrung des ursprünglichen und vernünftigen Verhältnisses von Regierung und Volk kann es nur abwärts gehen mit der Gesellschaft, und deshalb steuert sie auch nach menschlichem Ermessen auf eine unerhörte Katastrophe zu.

Der Staat bin ich!

Ist das Ganze nur die Summe der Teile? Wenn ja, so führt das zur Demokratie. Wenn aber das Ganze ein von den Teilen verschiedenes Ding ist - ungefähr so wie Seele und Leib verschiedene Dinge sind - so führt das zur Monarchie. Im Grunde sagt jeder Monarch: "Der Staat bin ich!", weil er den Staat im Unterschied zum Bürger verkörpert. Der Gedanke ist theoretisch nicht zu verachten, und er führte praktisch zu einem System, mit dem man sehr gut leben konnte. Das zeigt ein hübscher Auszug aus den Memoiren des preußischen Reitergenerals Ludwig v. d. Marwitz über einen Auftritt König Friedrichs II in Berlin. Dieser Auszug gehört zu den zahlreichen interessanten Geschichtsquellen, die Theodor Fontane in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ausgegraben hat:

(Der König) kam geritten auf einem großen, weißen Pferd - ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrot auf der ecole véterinaire bekam. Sein Anzug war derselbe wie vorher auf der Reise (d.h. schäbig), nur dass der Hut ein wenig besser conditioniert, ordentlich aufgeschlagen und mit der Spitze nach vorn echt militärisch aufgesetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generäle, dann die Adjutanten, schließlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) war gedrückt voll Menschen, alle Fenster voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen und auf allen Gesichtern ein Ausddruck von Ehrfurcht und Vertrauen wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale.

Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm. Dabei beobachtete er eine sehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenstern sich verneigenden Zuschauer es zu verdienen schienen ...Durch das ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berlinischen Gassenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln wischten.

Bei dem Palais der Prinzessin Amnalie angekommen ... war die Menge noch dichter, denn sie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügeltüren gingen auf, und die alte lahme Prinzessin Amalie - gestützt auf zwei Damen, die Oberhofmeisterin hinter ihr - wankte die flachen Stiegen hinab ihm entgegen. Sowie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Gallopp, hielt, sprang rasch von Pferde, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie wieder die Treppe hinauf. Die Flügeltüren gingen zu, alles war verschwunden, und es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich jeder gesammelt hatte und ruhig seines Weges ging (Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Schloss Friedersdorf).

Ich sehe den springenden Punkt des politischen Systems der vorrevolutionären Epoche in einer scharfen Trennung des Kollektiven und des Individuellen. Die Demokratie vermengt diese beiden Aspekte der Gesellschaft, und das führt zum Phänomen der Vermassung. Die organische Einheit des ganzen geht verloren, aber auch die Selbständigkeit des Individuums fehlt. Der Alte Fritz ließ sich selten sehen, sonst wäre sein Auftritt nicht eine solche Sensation gewesen. Er hielt keine "Rede an die Nation", er machte keine Propagande, und er überschwemmte auch nicht das Volk mit einer Flut von Gesetzen. Auf der anderen Seite vertraute das Volk dem König die Sorge für den Staat bedenkenlos an, und so kümmerte sich schließlich jeder um seine eigenen Angelegenheiten. So gab es keine Vermassung. Es scheint, dass alles ganz von selbst läuft, wenn nur der König wirklich ein König und der Bürger wirklich ein Bürger ist.

Einge Politiker verlangen, dass man die Eigeninitiative des Bürgers wieder stärken müsste. Diese Forderung richtet sich im Grunde gegen die Vermengung von Staat und Bürger. Wenn der König sagt: "Der Staat bin ich!", so ist das richtig. Wenn der Bürger sagt: "Der Staat bin ich!", so ist das falsch.






Sonntag, 14. Oktober 2007

Aufklärung

Was heißt "Aufklärung"? Die heiligen Schriften zu diesem Thema lassen die Frage offen, ob es einen Jahrhunderte währenden Prozess der zunehmenden Aufklärung gegeben hat, oder ob die Aufklärung ziemlich plötzlich um das Jahr 1800 herum vom Himmel gefallen ist. Aber wenn ich alles zusammennehme, was ich in der Schule über die Aufklärung gelernt habe, so überwiegt doch der Eindruck, dass sie ein wunderbares, plötzliches Ereignis war - ähnlich der Herabgießung des Heiligen Geistes auf die Urchristen. Die Aufklärung ist auf dem geistigen Gebiet, was die Demokratie auf dem sozialen Gebiet ist, nämlich das Ergebnis nicht einer fließenden Evolution, sondern einer schlagartigen Revolution. Es kommt ganz plötzlich über einen, und man ist fortan enlightend, "erleuchtet".


Doch was genau geht dabei in der Psyche vor? Ich fand die Antwort auf diese Frage beim Anblick einer gut fünf Meter hohen Figurengruppe vor dem Eingang von Schloß Seehof, der Sommerresidenz der früheren Fürstbischöfe von Bamberg. Ich fahre alle paar Monate hin. Die Figurengruppe stellt den Kampf von Jupiter mit den Giganten dar. Links unten sieht man einen Giganten, der noch die Keule schwingt, rechts unten liegt schon einer am Boden. Es ist klar, dass der Fürstbischof vom Bamberg im Kampf von Jupiter und den Giganten ein Bild des Verhältnisses von Obrigkeit und Untertan sah. Diese Pointe der Plastik ist sogar durch Dokumente erwiesen. Als Landesherr identifizierte sich der Fürstbischof mit Jupiter.


Doch das gehört zu einem heute in Vergessenheit geratenen Weltbild, das dem Weltbild der Aufklärung voranging. Das ist das bipolare Weltbild mit seinem Gegenüber von Himmel und Erde, Geist und Stoff, dem Einen und dem Vielen, Ewigkeit und Zeit usw., usf. Es ist offensichtlich, dass mit der bürgerlichen Revolution nicht nur der Untertan gegen die Obrigkeit revoltierte, sondern zugleich auch der Körper gegen die Seele, die Freiheit gegen das Gesetz, die Vielheit gegen die Einheit, die Zeit gegen die Ewigkeit usw., usf., kurzum, die Erde gegen den Himmel. Der Fürstbischof vom Bamberg sah es wohl kommen! Mit der bürgerlichen Revolution und der Aufklärung kehrte sich das Verhältnis von Jupiter und den Giganten um. Die Giganten sind oben, Jupiter ist unten.


So betrachtet, erweist sich die Aufklärung als eine Götterdämmerung mit allem Drum und Dran - als die schlimmste Verfinsterung, die jemals über die Welt hereingebrochen ist.

Der Wahn des Bürgertums

Man betrachtet seltsamerweise den Adel der vorrevolutionären Epoche als eine Kaste, das Bürgertum dagegen nicht. Das Bürgertum betrachtet sich als die Normalmenschheit. Diese Auffassung verrät aber ein mangelndes Verständnis für das Wesen der Kasten. In einer ständisch strukturierten Gesellschaft gibt es überhaupt keine Normalmenschen, es gibt nur Spezialmenschen, die auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert sind. Die soziale Funktion von Adel und Bürgertum war aber in der vorrevolutionären Gesellschaft erblich, weil beide - soziologisch gesprochen - getrennte "Heiratsvereine" bildeten, sodass ihre in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden entwickelte Spezialisierung bis in die Gene hinabreichte. Adel und Bürgertum sind beide gewissermaßen Spezialzüchtungen für bestimmte Aufgaben, sie haben jeweils bestimmte Stärken und bestimmte Schwächen, sie repräsentieren beide nur eine Hälfte der menschlichen Natur.

Man kann sagen, dass der Adel aufs Regieren und das Bürgertum aufs Produzieren spezialisiert ist. Der Bürgerliche ist seinen Genen nach der Typ des homo faber. Er ist auf wirtschaftlichem Gebiet zu Höchstleistungen fähig, aber er versteht nichts vom Staat. Es ist also krasser Unsinn, wenn sich der Bürgerliche als den - keiner Egänzung durch den Adel bedürftigen - Normalmenschen betrachtet. Das Bürgertum hat auch keine Aussicht, jemals zur Normalmenschheit zu werden, denn infolge der genetischen Spezialisierung der Kasten fehlen dem Bürgertum bestimmte Gene. Die genetische Spezialisierung vererbt sich bei Fortbestand der getrennten "Heiratsvereine" unerbittlich von Generation zu Generation fort, gleichgültig, welchen Ideologien man huldigt. Adel und Bürgertum sind, kurz gesagt, keine Frage der Ideologie, sondern der Biologie.

Diese Wahrheit führt zu einem fundamentalen Argument gegen die Demokratie. Mit der bürgerlichen Revolution musste ein einseitiger, mediokrer Staat entstehen, der im ganzen und in allen seinen Teilen den Stempel des homo faber trägt. In Wahrheit sind Adel und Bürgertum nach wie vor auf einander angewiesen. Weder der Adel noch das Bürgetum können unter Ausschluss des anderen Teils einen eigenen Staat bilden. Die bürgerliche Demokratie ist, wie schon die römischen Patrizier erkannten, etwas unterweltliches: ein Topf ohne Deckel, ein Rumpf ohne Kopf, ein Körper ohne Seele.

Versailles

Vor einiger Zeit besuchte ich Versailles. Ich versprach mir nicht viel davon, denn seit ich die Memoiren des Herzogs v. St. Simon gelesen hatte, waren mir Ludwig XIV. und der Betrieb in Versailles eher unsympathisch geworden. Auch die originellen Briefe Liselottes v. d. Pfalz hatten mich aufgehetzt.

Als ich in Paris eine Fahrkarte für die Regionalbahn nach Versailles löste, geriet ich an einen Schalterbeamten, der glücklicherweise englisch sprach. Er schob mir die Fahrkarte mit einem höflichen: "Here you are, Sir!" hin. Ich war beeindruckt und revanchierte mich mit einem: "Merci beaucou, Monseur!" Das wiederum gefiel ihm, sodass er eine längere Rede auf französisch hielt. Ich verstand keine Wort, aber offensichtlich wünschte er mir irgend so etwas wie einen angenehmen Aufenthalt in Paris. Ach Frankreich, was für eine Kultur!

Es war Anfang November, ich kam aus dem immer noch sommerlich warmen Spanien, in Versailles trug man schon Mantel und Schal. Schloß und Park waren in Nebel gehüllt, in den Bäumen hingen letzte gelbe Blätter. Das Schloß selbst, soweit es überhaupt für Besucher zugänglich ist, imponierte mir tatsächlich wenig. Aber als ich allein durch den Park mit seinen prächtigen Bäumen spazierte, überkam mich auf einmal der Gedanke: "Nanu, zum ersten mal in meinem Leben fühle ich mich ja wie ein Mensch!" Ich trug den Kopf höher, meine Schritte wurden beschwingter. Mir wurde plötzlich klar, dass ich die gegenwärtige Welt als ein Säurebad erlebe. Da der Schmerz permanent ist, wird er unbewusst. Aber meine Seele macht ständig eine Grimasse, sie zieht gewissermaßen ständig den Kopf ein wie eine Schildkröte. Jetzt hatte sie vorsichtig den Kopf vorgestreckt und festgestellt: "Schau an, hier ist nichts ,was wehtut, nichts was beleidigt, ekelt, niederdrückt. Alles wirkt eher erhebend. Ich bin endlich nach Hause gekommen!"

Ich schaute mir natürlich auch Le Petit Trianon auf der anderen Seite des Parkes an. Es gilt als eine Art Gartenhaus Marie Antoinettes. Dort ist eigentlich nur ihr in ländlichem Stil gehaltenes Wohnzimmer zugänglich. Ich habe noch nie etwas so geschmackvolles gesehen. Aber es ist ein französischer Geschmack, er ist so raffiniert, dass man verzaubert ist, ohne sich die Ursache davon erklären zu können. Das Wohnzimmer hat die Atmosphäre einer Ballade von Chopin. Arme Marie Antoinette! Wenn es Sommer gewesen wäre, so hätte ich vielleicht eine Rose aus dem Park geholt und auf ihren Tisch gelegt.