Dienstag, 16. Oktober 2007

Was heißt Demokratie?

Von einer "Volksherrschaft" kann also keine Rede sein. Aber auch "Parteienherrschaft" sagt wenig, denn diese ist im Fall der bürgerlich-liberalen Demokratie jedenfalls keine Zwangsherrschaft. Was für eine Art von Herrschaft ist die Demokratie dann?

Meiner Meinung nach ist das Wesen der Demokratie noch nie auch nur halbwegs einleuchtend definiert worden. Deshalb will ich mich auch gar nicht lange mit wissenschaftlichen Kontroversen aufhalten - sie bringen nichts -, sondern gleich mit einer eigenen Theorie herausrücken: Die Demokratie ist ein Staat ohne Vergangenheit, ohne Vorfahren, ohne Geschichte, ohne Traditionen, ohne eine gemeinsame Kultur. Die Demokratie ist ein plötzlich vom Himmel gefallener Staat. Nur eine außergalaktische, heute auf der Erde gelandete Gesellschaft kann sich eine Verfassung mit einer Präambel wie das deutsche Grundgesetz geben: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben. Ich frage: Was habt ihr denn vorher gemacht? Gab es denn vorher noch niemals irgend eine vernünftige Rechtsordnung? Die Demokratie geht eben sehr hypothetisch, aber doch grausam konsequent von einem totalen Neuanfang der Gesellschaft, von einer historischen tabula rasa aus!

"In China werden die Menschenrechte unterdrückt!" So etwas hört man in Bezug auf den einen oder anderen Staat jeden Tag, und jedes mal steigt tatsächlich ein Gefühl der Empörung hoch. Die Tatsachen mögen auch wirklich empörend sein, andererseits sollte man sich aber doch einmal klar machen, dass es Menschenrechte wie "freie Entfaltung der Persönlichkeit", "Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit", "Versammlungsfreiheit", "Vereinigungsfreiheit", "Pressefreiheit", "Freizügigkeit", "freie Marktwirtschaft" usw., usf. bis ins 19./20 Jh. niemals und nirgends auf der Welt gegeben hat. Der Grund für das Fehlen der sog. Menschenrechte in der Vergangenheit ist auch völlig klar: Die Gesellschaft der Gegenwart betrachtete sich als eine Fortsetzung der Gesellschaft der Vergangenheit. So wie ein Individuum nicht willkürlich bestimmen kann, wer oder was es eigentlich ist - es hat eine ererbte Identität -, so konnte auch eine Gesellschaft in der Gegenwart nur sein, was sie schon in der Vergangenheit gewesen war. Für eine solche Gesellschaft blieb ebenso wenig wie für Sonne, Mond und Sterne und die Elemente und Pflanzen und Tiere Raum für irgend welche Menschenrechte, Grundrechte, Grundfreiheiten.

Ich füge dieser rein theoretischen Betrachtung eine historische Beobachtung hinzu, und ich meine, das sich diese zu allem vorigen verhält wie der Punkt aufs I. Die französische Revolution von 1789 hängt doch offensichtlich mit der Einführung der Demokratie in den USA im Jahre 1776 zusammen. Das ganze System scheint aus Amerika zu stammen, und schau her, in Amerika fiel tatsächlich eine Gesellschaft gewissermaßen plötzlich vom Himmel! Sie hatte keine historische Vergangenheit, sie konnte nicht und musste nicht einfach so weiter machen wie bisher. Sie musste alles neu erfinden, und sie scheint alles täglich immer wieder aufs neue erfinden zu müssen. Europa kam zur Demokratie, indem es einfach ohne Sinn und Verstand Amerika nachahmte.

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