Donnerstag, 18. Oktober 2007

Ideologien

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
ist der Konflikt von Sozialismus und Liberalismus auf internationaler Ebene eingeschlafen, aber auf nationaler Ebene besteht er nach wie vor weiter. Jede moderne Gesellschaft scheint mitten entzwei gerissen zu sein von zwei gleich starken Parteien, die sich selbst als links und rechts, progressiv und konservativ, sozialistisch und kapitalistisch u.ä. einordnen.

Platon - mein Leitstern in dem Chaos der Meinungen - sagt irgendwo sehr schön: Die Alten, besser als wir und den Göttern näher stehend, haben uns diese Sage hinterlassen: Aus Einem und Vielem sei alles, von dem immer wir sagen, dass es ist. Diese widersprüchliche Natur aller Dinge wird nirgends so deutlich wie im Fall der menschlichen Gesellschaft. Die Gesellschaft ist offensichtlich Eines und Vieles zugleich, und das Problem der richtigen Staatsverfassung scheint vor allem das Gleichgewicht dieser gegensätzlichen Aspekte der Gesellschaft zu sein. Mit dem Sozialismus im weitesten Sinn wird das Kollektive und mit dem Liberalismus das Individuelle einseitig bevorzugt. Im einen Fall vergewaltigt die Gesellschaft das Individuum z.B. mit Phrasen wie Gemeinnutz geht vor Eigennnutz oder gar Wir müssen sterben, damit Deutschland leben kann, im anderen Fall zerstört umgekehrt das Individuum die Gesellschaft, indem es alle Politik auf den erklärten Willen des Einzelnen zurückzuführen versucht.

Die moderne Gesellschaft befindet sich damit in der typischen Lage zwischen Skylla und Charybdis, und diese Lage wirft immer die Frage nach dem goldenen Mittelweg auf. Der goldene Mittelweg ist die Monarchie. Erst durch Abschaffung der Monarchie wurde ja die Gesellschaft ein Opfer der Extreme. Gewöhnlich führt die bürgerliche Revolution erst ins eine und dann sehr schnell ins andere Extrem: In Deutschland kam zuerst die Weimarer Republik und dann das Dritte Reich, in Russland zuerst der bürgerliche Kerenski und dann der sozialistische Lenin. Ohne die Monarchie sind das Eine und das Viele offensichtlich nicht unter einen Hut zu bekommen. Ohne die Monarchie herrscht immer das eine auf Kosten des anderen: Entweder die Gesellschaft geht in den Individuen, oder die Individuen gehen im Kollektiven auf.

Kaum ein Staat der Welt hat die Unvereinbarkeit des Kollektiven und des Individuellen in der Demokratie so schmerzlich zu spüren bekommen wie Deutschland. Als schließlich die Wiedervereinigung den erschrockenen demokratischen Politikern in den Schoß geworfen wurde, dachte der einfache Bürger, dass es jetzt zu einer wunderbaren Synthese der Gegensätze kommen würde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht, weil den Politikern nur ein "entweder Sozialismus oder Kapitalismus" einfiel. Die demokratischen Politiker können die Welt nur spalten, nicht vereinigen! Die schwächere sozialistische DDR wurde von der stärkeren BRD brutal gleichgeschaltet, und nach dem Jubel und Trubel von 1989 ist schnell die übliche Politikverdrossenheit zurückgekehrt. Was hat die Wiedervereinigung gebracht? Ich sehe nur ein pompöses Abgeordnetenhaus in Berlin, sonst nichts!

Eine Synthese des Einen und des Vielen, des Kollektiven und des Individuellen, wäre aber auch nur mit Hilfe der Monarchie möglich gewesen. Das grundlegendste staatstheoretische Problem überhaupt ist die Frage, ob es eine natürliche soziale Einheit gibt, oder ob die soziale Einheit immer erst künstlich und gewaltsam hergestellt werden muss. Tatsächlich ist es die Eigenart der Monarchie, dass sie das von Natur aus und von jeher sowieso schon allen Gemeinsame zur Herrschaft bringt und auf diese Weise eine echte soziale Einheit und Gemeinschaft zustande bringt. Dagegen ist es die Eigenart der Demokratie, dass sie immer glaubt, der Mensch sei von Natur aus ein isolierter Einzelkämpfer, und dass die soziale Einheit und Gemeinschaft immer erst künstlich und gewaltsam - sprich durch Propaganda - hergestellt werden müsste. Unter diesen Umständen ist die Demokratie stets gespalten in eine Partei der gewaltsamen sozialen Einheit und eine entgegengesetzte staatsfeindliche Partei der Unabhängigkeit des Individuums. Die Demokratie ist stets zerrissen von der Propaganda der kollektivistischen und der individualistischen Partei.

Kommunismus und Kapitalismus, Faschismus und Antifaschismus, das sind alles nur einseitige, schizophrene, giftige Ideologien.

3 Kommentare:

Nikodemus hat gesagt…

Ein kleiner Hinweis zur Vereinbarkeit vom Einen und Vielen. Nikolaus von Kues hat sich damit eingehend in seiner "Concordantia catholica" auseinandergesetzt und kommt aufgrund des Zueinanders von Einheit und Vielheit zu dem Schluß, dass die Wahlmonarchie die beste Regierungsform sei.

Postillion hat gesagt…

Hallo Kjunk! Ich habe einmal versucht, Nikolaus von Kues zu lesen, aber die Scholastik - zu der er doch wohl wenigstens im weiteren Sinn gehört - will nicht in mein Gehirn. Ich habe übrigens in Bezug auf das Eine und das Viele in meinem Post ein schlechtes Gewissen. Ich hab die beiden Dinge und ihr Verhältnis gar nicht ordentlich erklärt. Was ich meine ist eigentlich, dass das Eine nur im Logos liegen kann, den Heraklit immer wieder sehr treffend als "das allen gemeinsame"
erklärt. Ich glaube, dass der englische Ausdruck "common sense" ursprünglich so etwas wie den Logos Heraklits meint. Also das Eine ist die gemeinsame Wurzel aller Einzelseelen ... Sie sind ja philosophisch viel beschlagener als ich und verstehen sicher, was ich meine.
Danke für Ihren Hinweis und herzlichen Gruß, Postillion

Nikodemus hat gesagt…

Wenn man spitzfindig ist, gehört Cusanus eigentlich nicht mehr zur Scholastik, aber die Gabe des klaren Ausdrucks wurde ihm tatsächlich nicht verliehen...
Ich finde den Grundgedanken aus Ihrem Post, dass die Monarchie eine Einheit in der Vielheit herstellt, und diese Einheit ja notwendigerweise "von oben" also nicht aus der Vielheit selbst kommen kann, aber sehr gut und ausgesprochen einleuchtend.