Montag, 15. Oktober 2007

Hirt, Hunde und Herde

Wir sind permanent umgeben von lächelnden Reklamevisagen, aber wenn man die reale Situation der Gesellschaft berücksichtigt - sie ist sowohl von der zerstörten Umwelt als auch von der zerstörten Familie, also sowohl von außen als auch von innen her zum Tode verurteilt -, so wirkt dieses ewige Lächeln doch wie das eingefrorene Grinsen des Verrückten. Diese Gesellschaft nimmt die Welt nur ganz von weitem, nur durch die rosarote Brille der Massenmedien und nur wie in einem Drogenrausch wahr. Die Droge ist in diesem Fall das Wort "Demokratie". Wir leben ja in einer Demokratie, und die Demokratie ist das allein seligmachende politische System. Folglich ist die Welt vollkommen in Ordnung, mag sie auch scheinbar zum Teufel gehen.

Dabei ist die Demokratie gerade die Ursache der Misere. Die Gesellschaft geht, kurz gesagt, an der Industrie zugrunde, und die industrielle Revolution ist die Folge der bürgerlichen Revolution. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, ist zwar keineswegs geklärt, aber das Wesen der bürgerlichen Revolution und der Demokratie ist überhaupt ein ungelöstes Rätsel.
Warum musste denn die Idee der "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu diesem offenkundigen, unbestreitbaren Weltuntergang führen? Die Kehrseite dieser Frage ist: Wie konnte das Ancien Regime die Gesellschaft in Harmonie mit Sonne, Mond und Sternen und den Elementen und Pflanzen und Tieren halten, wie konnte es die Gesellschaft in sich selbst zusammenhalten und auf diese Weise vor dem Untergang bewahren?

Es ist zwar nur eine Hypothese, aber es gibt gar keine andere Möglichkeit: Die Struktur der Gesellschaft entspricht der Struktur der Seele des Einzelnen, wie schon Platon predigte. Ändere die Struktur der Gesellschaft, und du änderst gleichzeitig die Struktur der Seele des Einzelnen. Platon erklärt sowohl den Idealstaat als auch die ideale seelische Verfassung des Einzelnen mit dem Bild des Schafhirten, seiner Schäferhunde und der Schafherde. Auf der Ebene des Staates sind das der König, der Adel und das Volk; auf der Ebene der individuellen Psyche sind das so etwas wie der Geist, der Wille und der Körper. Die Herrschaft des Geistes über den Körper steht und fällt mit der Herrschaft des Königs über das Volk und umgekehrt. Die Ursache des gegenwärtigen Weltuntergangs ist, dass zugleich mit der Monarchie auch die Herrschaft des Geistes über den Körper zusammengebrochen ist, und dass auf diese Weise die Hölle hochgekommen ist.

Im 17. Jh. galten z.B. noch Rationalismus und Empirismus als diametrale Gegensätze. Erst als Folge der bürgerlichen Revolution gilt plötzlich der Empirismus selbst als der Rationalismus; und was ein vom Empirismus verschiedener Rationalismus sein könnte, kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen. Was ist das Ganze im Unterschied zu den Teilen, der Begriff im Unterschied zur Wahrnehmung, das Wort im Unterschied zur Sache, was ist die deduktive im Unterschied zur induktiven Methode der Erkenntnis? Ratlosigkeit! Analog zur Revolution des Volkes gegen die Monarchie hat es eine Revolution des Körpers gegen den Geist gegeben.

Aufklärung heißt: "Alles, was ich nicht sehen und anfassen kann, ist Humbug!" Sie ist nur ein geistfeindlicher Empirismus. Der Aufgeklärte tastet die Welt wie die Ameise mit ihren kleinen Fühlern ab. Aufklärung ist eine Verherrlichung des Objekts und eine Sklaverei des Subjekts. Aber was ist denn das Subjekt ? Ursprünglich ist das so etwas wie die Vernunft von Gottes Gnaden. Von der Herrschaft der Vernunft im ursprünglichen Sinn des Wortes hängt es ab, ob die Welt ein Paradies oder eine Hölle ist.

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