Montag, 15. Oktober 2007

Der Idealstaat

Der Sinn des Idealstaates wird meistens mißverstanden. Er ist kein Schlaraffenland, er ist ein theoretisches Modell, an dem die historischen Staaten gemessen werden sollen. Ohne ein Modell des Idealstaates kann ich z.B. das politische System der Bundesrepublik Deutschland unmöglich bewerten. Die herrschenden Parteien tun zwar so, als wäre die Bundesrepublik Deutschland der Idealstaat in Reinkultur, aber diese Vorstellung ist schon deshalb verkehrt, weil der Idealstaat immer eine Theorie sein muss, an der erst die Praxis gemessen werden kann.

Das theoretische Modell, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland messen lassen muss, sieht nach allen Lobeshymnen auf die Demokratie etwa folgendermaßen aus: Das Volk schickt alle vier Jahre aus seiner Mitte heraus ein paar Hundert Volksvertreter ins Parlament - die Gestalt des Volksvertreters ist tatsächlich der Angelpunkt des ganzen Systems -, die nun, niemandem als ihrem eigenen Gewissen verpflichtet, eine Regierung einsetzen und kontrollieren. Da sitzen sie nun auf ihren Abgeordnetenstühlen unsere lieben Volksvertreter - Bauern, Bäckermeister, Metzger, breit und behäbig, ein bißchen wortkarg, ein bißchen unbeholfen, aber doch ehrlich und grundsolide -, und beschließen, was gut und nützlich ist für den Staat.

Wenn man nun diesen Maßstab an die Wirklichkeit anlegt und fragt, wieweit die Praxis der Theorie entspricht, so ist das Ergebnis niederschmettern. Das entscheidende Problem ist ja, dass wirklich die Volksvertreter die Regierung einsetzen und kontrollieren, und dass nicht etwa die Regierung die Volksvertreter einsetzt und kontrolliert. In Wahrheit ist aber die ganze Gestalt des Volksvertreters eine Illusion. Das Volk ist gar nicht imstande dazu, Abgeordnete aus seiner Mitte heraus ins Parlamanet zu entsenden, weil es gar keine Kommunikation unter den Wählern gibt. Niemand sagt etwa: "Ich schlage vor, Herrn XY als Abgeordneten zu wählen. Ich kenne ihn schon seit Jahren und weiß, dass er sehr zuverlässig ist." Es gibt auch kein Forum, auf dem sich die Kandidaten der Wählerschaft vorstellen könnten. Aus welchem Zauberhut kriechen also die Kanidaten hervor? Es sind die bereits herrschenden Parteien, die das ausschließliche Recht der Kandidatennominierung haben, und die im großen und ganzen mit jeder Wahl nur immer wieder in ihrer Herrschaft bestätigt werden können. Es tritt also tatsächlich der perverse Fall ein, dass nicht die Volksvertreter die Regierung wählen, sondern dass die Regierung die Volksvertreter wählt.

Das Volk ist zur Beute der Parteien geworden! Es ist dermaßen verstrickt in ein Gewebe aus Phrasen, Tricks und Lügen, dass es sich - wie ein Insekt in einem Spinngewebe - gar nicht mehr rühren kann. Die Note für dieses politische System kann nur lauten: nicht ausreichend.

Keine Kommentare: