Montag, 15. Oktober 2007

Das Postkutschenzeitalter

In den "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" von Wilhelm v. Kügelgen (1802 - 1867) gibt es eine amüsante Beschreibung einer Postkutschenfahrt: Zwischen Leipzig und Dresden gingen damals zwei Personenposten, die sog. gelbe und die grüne Kutsche. Die erste dieser beiden Gelegenheiten stieß dermaßen, dass Leib und Seele Gefahr liefen, voneinander getrennt zu werden, daher besonnene Leute die andere, etwas gelindere zu wählen pflegten. Doch war auch diese immer noch von der Art, dass man bisweilen vor Schmerz laut aufschrie, und wenn der Schwager nicht an jeder Schenke angehalten hätte, so würde man es kaum ertragen haben ...

Meine Reisegesellschaft bestand aus einem wohlhabenden, dicken Partikulier (wohl Einzelhändler) ... und einem heldenmütigen Leipziger Studenten. Letzterer hatte das Aussehen wie der grimme Hagen ... Auf der Brust hing ihm ein ledernes Beutelchen mit Schießpuler, aus welchem er sein Terzerol lud, um ab und zu aus dem Wagenfenster zu feuern. Der Dicke drückte dann die Augen zu und bat inständigst, wenigstens das Pulversäckchen abzuhängen, das Feuer fangen könnte. Es sei allerdings gefährlich, versicherte der Studio, aber darin läge ja gerade der Reiz. Darauf schwur er bei allen sieben Weisen Griechenlands, dass, wenn ein einziges Fünkchen aus seiner Pfeife da hinein flöge, so würden wir augenblicklich alle samt grüner Kutsche, Postillion und Pferden wie Elia im feurigen Wagen gen Himmel fahren.


Die Fahrt mit der Kutsche war also eine Strapaze. Aber wie gern würde ich diese Strapaze auf mich nehmen, wenn ich damit auch die saubere Luft, das saubere Wasser und die märchenhaft schönen Landschaften des vormärzlichen Deutschland wiederbekäme. Man muss nur genau hinschauen auf die Welt, man muss nur aufwachen aus dem allgemeinen Delirium, um zu erkennen, dass die Gesellschaft nicht fortschreitet, sondern im Chaos versinkt. Ich weiß, ehrlich gesagt, auch nicht, was man tun sollte, aber jedenfalls, sollte man die unsinnige Behauptung aufgeben, es habe in den letzten 200 Jahren ein allgemeiner Fortschritt stattgefunden. Ein endloser Fortschritt kommt auch in der Natur gar nicht vor. Daraus ergibt sich schon das wahre das Wesen des endlosen Fortschritts: Das kann nur die endlose Entartung der menschlichen Natur sein.


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