Sonntag, 14. Oktober 2007

Der Wahn des Bürgertums

Man betrachtet seltsamerweise den Adel der vorrevolutionären Epoche als eine Kaste, das Bürgertum dagegen nicht. Das Bürgertum betrachtet sich als die Normalmenschheit. Diese Auffassung verrät aber ein mangelndes Verständnis für das Wesen der Kasten. In einer ständisch strukturierten Gesellschaft gibt es überhaupt keine Normalmenschen, es gibt nur Spezialmenschen, die auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert sind. Die soziale Funktion von Adel und Bürgertum war aber in der vorrevolutionären Gesellschaft erblich, weil beide - soziologisch gesprochen - getrennte "Heiratsvereine" bildeten, sodass ihre in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden entwickelte Spezialisierung bis in die Gene hinabreichte. Adel und Bürgertum sind beide gewissermaßen Spezialzüchtungen für bestimmte Aufgaben, sie haben jeweils bestimmte Stärken und bestimmte Schwächen, sie repräsentieren beide nur eine Hälfte der menschlichen Natur.

Man kann sagen, dass der Adel aufs Regieren und das Bürgertum aufs Produzieren spezialisiert ist. Der Bürgerliche ist seinen Genen nach der Typ des homo faber. Er ist auf wirtschaftlichem Gebiet zu Höchstleistungen fähig, aber er versteht nichts vom Staat. Es ist also krasser Unsinn, wenn sich der Bürgerliche als den - keiner Egänzung durch den Adel bedürftigen - Normalmenschen betrachtet. Das Bürgertum hat auch keine Aussicht, jemals zur Normalmenschheit zu werden, denn infolge der genetischen Spezialisierung der Kasten fehlen dem Bürgertum bestimmte Gene. Die genetische Spezialisierung vererbt sich bei Fortbestand der getrennten "Heiratsvereine" unerbittlich von Generation zu Generation fort, gleichgültig, welchen Ideologien man huldigt. Adel und Bürgertum sind, kurz gesagt, keine Frage der Ideologie, sondern der Biologie.

Diese Wahrheit führt zu einem fundamentalen Argument gegen die Demokratie. Mit der bürgerlichen Revolution musste ein einseitiger, mediokrer Staat entstehen, der im ganzen und in allen seinen Teilen den Stempel des homo faber trägt. In Wahrheit sind Adel und Bürgertum nach wie vor auf einander angewiesen. Weder der Adel noch das Bürgetum können unter Ausschluss des anderen Teils einen eigenen Staat bilden. Die bürgerliche Demokratie ist, wie schon die römischen Patrizier erkannten, etwas unterweltliches: ein Topf ohne Deckel, ein Rumpf ohne Kopf, ein Körper ohne Seele.

Keine Kommentare: