Montag, 15. Oktober 2007

Der Staat bin ich!

Ist das Ganze nur die Summe der Teile? Wenn ja, so führt das zur Demokratie. Wenn aber das Ganze ein von den Teilen verschiedenes Ding ist - ungefähr so wie Seele und Leib verschiedene Dinge sind - so führt das zur Monarchie. Im Grunde sagt jeder Monarch: "Der Staat bin ich!", weil er den Staat im Unterschied zum Bürger verkörpert. Der Gedanke ist theoretisch nicht zu verachten, und er führte praktisch zu einem System, mit dem man sehr gut leben konnte. Das zeigt ein hübscher Auszug aus den Memoiren des preußischen Reitergenerals Ludwig v. d. Marwitz über einen Auftritt König Friedrichs II in Berlin. Dieser Auszug gehört zu den zahlreichen interessanten Geschichtsquellen, die Theodor Fontane in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ausgegraben hat:

(Der König) kam geritten auf einem großen, weißen Pferd - ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrot auf der ecole véterinaire bekam. Sein Anzug war derselbe wie vorher auf der Reise (d.h. schäbig), nur dass der Hut ein wenig besser conditioniert, ordentlich aufgeschlagen und mit der Spitze nach vorn echt militärisch aufgesetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generäle, dann die Adjutanten, schließlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) war gedrückt voll Menschen, alle Fenster voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen und auf allen Gesichtern ein Ausddruck von Ehrfurcht und Vertrauen wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale.

Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm. Dabei beobachtete er eine sehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenstern sich verneigenden Zuschauer es zu verdienen schienen ...Durch das ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berlinischen Gassenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln wischten.

Bei dem Palais der Prinzessin Amnalie angekommen ... war die Menge noch dichter, denn sie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügeltüren gingen auf, und die alte lahme Prinzessin Amalie - gestützt auf zwei Damen, die Oberhofmeisterin hinter ihr - wankte die flachen Stiegen hinab ihm entgegen. Sowie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Gallopp, hielt, sprang rasch von Pferde, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie wieder die Treppe hinauf. Die Flügeltüren gingen zu, alles war verschwunden, und es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich jeder gesammelt hatte und ruhig seines Weges ging (Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Schloss Friedersdorf).

Ich sehe den springenden Punkt des politischen Systems der vorrevolutionären Epoche in einer scharfen Trennung des Kollektiven und des Individuellen. Die Demokratie vermengt diese beiden Aspekte der Gesellschaft, und das führt zum Phänomen der Vermassung. Die organische Einheit des ganzen geht verloren, aber auch die Selbständigkeit des Individuums fehlt. Der Alte Fritz ließ sich selten sehen, sonst wäre sein Auftritt nicht eine solche Sensation gewesen. Er hielt keine "Rede an die Nation", er machte keine Propagande, und er überschwemmte auch nicht das Volk mit einer Flut von Gesetzen. Auf der anderen Seite vertraute das Volk dem König die Sorge für den Staat bedenkenlos an, und so kümmerte sich schließlich jeder um seine eigenen Angelegenheiten. So gab es keine Vermassung. Es scheint, dass alles ganz von selbst läuft, wenn nur der König wirklich ein König und der Bürger wirklich ein Bürger ist.

Einge Politiker verlangen, dass man die Eigeninitiative des Bürgers wieder stärken müsste. Diese Forderung richtet sich im Grunde gegen die Vermengung von Staat und Bürger. Wenn der König sagt: "Der Staat bin ich!", so ist das richtig. Wenn der Bürger sagt: "Der Staat bin ich!", so ist das falsch.






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